Ingeborg Küster Geboren am in Wuppertal Gestorben am in Göttingen

Über Ingeborg Küster

Ingeborg Küster gehörte zu den Initiatorinnen der Westdeutschen Frauenfriedensbewegung der 1950er und 1960er Jahre. Sie war Mitherausgeberin der Zeitschrift Frau und Frieden und gründete 1974 zusammen mit Elly Steinmann die Demokratische Fraueninitiative.

Jugend und politische Entwicklung

Ingeborg Küster1 wurde am 17. Mai 1909 als Ingeborg Andreas in Wuppertal geboren und wuchs in einem politisch geprägten Elternhaus auf. Als ihr Vater Franz Andreas2 1921 Parteisekretär der SPD für den Bezirk Niederelbe wurde, zog die Familie nach Norddeutschland. Von 1923 bis 1931 war Franz Andreas Gemeindevorsteher in Altkloster, einem Stadtteil von Buxtehude. Er vermittelte seiner Tochter offenbar früh pazifistische Überzeugungen. Ingeborg Andreas begann ihre berufliche Laufbahn 1923, im Alter von 14 Jahren, im Büro einer Papierfabrik, ging jedoch fünf Jahre später nach Wiesbaden, um als Bürokraft in der Redaktion der pazifistischen Zeitung Die Menschheit zu arbeiten. Ein Jahr später wurde sie in Berlin Sekretärin des Vorsitzenden der Deutschen Friedensgesellschaft (DFG), Fritz Küster (1889–1966). Küster war auch Herausgeber der Wochenschrift Das Andere Deutschland, in deren Redaktion Ingeborg Küster ab 1931 mitarbeitete. Parallel zu ihrer journalistischen Arbeit besuchte sie in Berlin als Gasthörerin Vorlesungen an der Deutschen Hochschule für Politik (DHfP).3 „Die DHfP sollte aus einem liberalen Geist heraus die elementaren Grundsätze eines demokratischen Gemeinwesens in Deutschland etablieren und die noch junge Weimarer Republik in diesem Sinne gegen antidemokratische Tendenzen festigen helfen“.4

Nationalsozialismus

1933 verlor Ingeborg Andreas wegen der Verhaftung Fritz Küsters und der Auflösung des Büros der DFG durch die Nationalsozialisten ihren Arbeitsplatz. Sie arbeitete danach für verschiedene Arbeitgeber und engagierte sich für die Freilassung Fritz Küsters, der in den nächsten Jahren in mehreren Gefängnissen und Konzentrationslagern, unter anderem in Oranienburg und in Buchenwald, interniert war. Mit dem zwanzig Jahre älteren Mann verband sie längst nicht mehr nur die Politik, sondern auch die Liebe; aus der Konstellation Chef/Angestellte war eine Lebens- und Arbeitsgemeinschaft geworden. Nachdem mit Hilfe internationaler Solidarität durch die War Resisters’ International seine Entlassung aus dem Konzentrationslager Buchenwald5 erreicht werden konnte, heirateten Ingeborg Andreas und Fritz Küster 1938. 1939 wurde die Tochter Lore und 1944 der Sohn John-Christoph geboren.

Die Nachkriegsjahre

Die Jahre bis 1945 waren geprägt von materiellen Überlebenskämpfen. Bald nach dem Krieg konnte Fritz Küster in Hannover den Fritz-Küster-Verlag gründen, der bis zur Währungsreform 1948 prosperierte. Ingeborg hatte zu dieser Zeit mit einer schweren Hüfterkrankung zu kämpfen, darüber hinaus bewirkte die professionelle Organisation des Verlages, dass sie sich auf Familie und Kinder zurückgeworfen fühlte. „Fritz richtete sich in der Stadt sein erstes kleines Büro ein, dann das zweite, größere […]. Stenotypistinnen, Buchhalter, Versandfachleute, Abteilungsleiter, Redakteure und ein Verlagsdirektor schufen eine Arbeitswelt, an der ich nicht Anteil haben konnte. […] Niemals hatte ich während der vergangenen zwölf Jahre im Dritten Reich angenommen, daß ich beim Wiederaufbau in der Stunde Null im Abseits stehen würde. Selbst das Abtippen von Manuskripten war jetzt Sache von Angestellten. […] Fritz war früh am Morgen schon unterwegs […]. Er fuhr mit Auto und Chauffeur, was ihm Gelegenheit gab, während der Fahrt zu arbeiten. Abends kam er spät nach Hause. Beim sonntäglichen Frühstück und am Mittag aßen wir zusammen, aber in den übrigen Stunden am Wochenende saß Fritz auch zu Hause am Schreibtisch oder es kamen leitende Herren, um mit ihm in Ruhe zu sprechen. Frauen hatten damals auch bei uns keine ‚Position‘“.6 Doch unterstütze Fritz Küster die Bestrebungen seiner Frau nach Aussage der gemeinsamen Tochter Lore7 sowohl finanziell wie ideell ganz erheblich. Da sie auch über ein häusliches Arbeitszimmer verfügte, war es ihr möglich, sich trotz ihrer krankheitsbedingten Einschränkung weiterhin mit in die Arbeit einzubringen. Durch die Währungsreform 1948 geriet der Verlag in finanzielle Schwierigkeiten. Ingeborg Küster, deren Gesundheit zwischenzeitlich weitgehend wiederhergestellt war, stieg mit Begeisterung in die jetzt stärker selbstorganisierte Verlagsarbeit ein, „da die Tätigkeit als Journalistin und Redakteurin meinen Vorstellungen und, wie sich später herausstellte, auch meiner Begabung entsprach.“8

Friedensaktivistin und Verlegerin

Westdeutscher Frauenfriedenskongreß, Velbert, 1951, Manifest

Zugleich ergab sich für sie ein neues Tätigkeitsfeld, das sie nie wieder aufgab: das Engagement in der Frauenbewegung. Als sie 1951 aufgefordert wurde, am „Kongress der Frauen und Mütter für den Frieden“ in Velbert teilzunehmen, reagierte sie zunächst desinteressiert: „Muß das sein?“9 , fuhr jedoch hin und war sofort begeistert. „Am Schluß dieses Kongresses in Velbert, dessen Ziel es war, die Frauen als Kriegsgegner zusammenzuführen und als Gegnerinnen der Remilitarisierung zur aktiven Mitarbeit zu motivieren, waren wir alle bereit, in dem jeweiligen Bundesland eine Organisation zu schaffen. Ich habe dann im Bus meine Adresse für die niedersächsischen Frauen bekannt gegeben.“10 Auf den im Nachlass überlieferten Audiokassetten erzählt sie davon, wie sie von diesem „allgemeinen Enthusiasmus“11 erfasst wurde.12 Sie avancierte schnell in den Kreis der Gründerinnen der Westdeutschen Frauenfriedensbewegung (WFFB) und beteiligte sich maßgeblich an der Organisation eines weiteren Kongresses am 2. Dezember 1951 in Cuxhaven. Dieser wurde jedoch in letzter Minute vom zuständigen Regierungspräsidenten abgesagt, weil er „eine strafbare Handlung im Sinne der §§ 1, pp. der Verordnung zur Abwehr von Angriffen auf die demokratische Grundordnung der Bundesrepublik“13 darstellte.

Die Polizei ließ viele Teilnehmerinnen nicht zum Veranstaltungsort durch und einige – unter ihnen auch Ingeborg Küster – wurden zur Vernehmung ins Polizeipräsidium gebracht. Auf dem Flugblatt WINDSTÄRKE 11 IN CUXHAVEN. Ein kräftiges Tief zog von Stade herauf. Ein Hoch für 300 mutige Frauen! schildert Ingeborg Küster die Geschehnisse um diesen Frauenfriedenstag.

Aufruf zum Frauenfriedenskongress in Cuxhaven,1951
Faltblatt: Windstärke 11 in Cuxhaven. Ein kräftiges Tief zog von Stade herauf. Ein Hoch für 300 mutige Frauen!

Sie gehörte der geschäftsführenden Leitung und dem Präsidium der WFFB bis zu deren Auflösung 1974 an. Sie sprach auf vielen Veranstaltungen, reiste als Vertreterin der WFFB unter anderem in die damaligen Ostblockstaaten (Sowjetunion, DDR, ČSSR), zu internationalen Frauenfriedenskongressen und pflegte Kontakte zu Frauenorganisationen weltweit. Sie schrieb Artikel für die monatlich erscheinende Zeitschrift Frau und Frieden, deren Redaktion sie von 1952 bis 1974 angehörte. Frau und Frieden erschien im Fritz-Küster-Verlag, dessen Leitung sie übernommen hatte, nachdem Fritz Küster diese 1958 nach einem Schlaganfall aufgeben musste.

Brief der Union des Femmes du Vietnam an Ingeborg Küster von 1977

Frauenpolitisches Engagement und Parteiarbeit

Mit Auflösung der WFFB 1974 hörte Ingeborg Küsters Engagement für den Frieden und die Frauen jedoch nicht auf. Sie gründete Mitte der 1970er Jahre unter anderem mit Elly Steinmann die Demokratische Fraueninitiative (DFI)14 , die sich in der politischen Ausrichtung ebenso wie zuvor große Teile der WFFB am Realsozialismus der DDR und der Sowjetunion orientierte. Die DFI gab den Kalender Wir Frauen und die gleichnamige Zeitschrift heraus, beides erscheint bis heute, seit 1990 herausgegeben von Wir Frauen e.V.

Porträt von Elly Steinmann, ca. 1979

Ingeborg Küster rief 1960 neben vielen anderen zur Gründung der Partei Deutsche Friedens-Union (DFU) auf, wurde deren niedersächsische Landesvorsitzende und kandidierte 1965 erfolglos für den Bundestag. Die DFU wurde, wie sich nach 1989 herausstellte, maßgeblich und großzügig durch verdeckte Zahlungen der Sozialistischen Einheitspartei (SED) der DDR finanziert.15 Ingeborg Küster erhielt Ehrungen aus der DDR, so im Mai 1974 die Carl-von-Ossietzky-Medaille des Friedensrates der DDR und 1989 die Joliot-Curie-Medaille in Gold.16

Bis ins hohe Alter hinein berichtete sie auf Veranstaltungen als Zeitzeugin über ihr Leben und vor allem über ihr Engagement für den Frieden sowie über ihre Reisen in die DDR, nach Kuba, Polen, Ägypten, in die Sowjetunion und andere Länder. Sie ließ sich für Radiosendungen interviewen und veröffentlichte ihre Lebenserinnerungen17 . Ingeborg Küster starb 2004 im Alter von 95 Jahren.

Die Überlieferung

Ein Teil des Nachlasses von Ingeborg Küster wurde 2009 von ihrer Tochter dem Archiv der deutschen Frauenbewegung übergeben. Er enthält Korrespondenz, unter anderem der geschäftsführenden Leitung der WFFB, sowie eine kleine Sammlung von Unterlagen zu mehreren Frauenfriedenskongressen der 1950er Jahre. Den Hauptteil des Nachlasses bilden 41 Audiokassetten, auf denen neben Aufnahmen von Veranstaltungen mit Küster auch erzählte Lebenserinnerungen zu hören sind.

Einen großen Teil ihres Nachlasses hatte sie selbst 1988 zusammen mit dem ihres Mannes an das Institut für Politikwissenschaften der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg gegeben. Damit wurde dort das Fritz-Küster-Archiv für Geschichte und Literatur der Friedensbewegung gegründet. Dieses Archiv wurde allerdings bereits 2010 wieder aufgelöst und geteilt: Die Archivalien der Deutschen Friedensgesellschaft – Internationale der Kriegsdienstgegner e.V. (DFG/IdK) wurden vom Archiv der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg übernommen. Der andere Sammlungsteil kam unter dem Bestandsnamen „Fritz-Küster-Archiv / Sammlung Appelius“ in das Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn.

 

Stand: 25. März 2022
Lizenz (Text)
Verfasst von
Cornelia Wenzel

Wissenschaftliche Dokumentarin, Freie Mitarbeiterin im AddF – Archiv der deutschen Frauenbewegung; Arbeitsschwerpunkte: Geschichte der Frauenbewegung, Überlieferung sozialer und politischer Bewegungen in Freien Archiven.

Empfohlene Zitierweise
Cornelia Wenzel (2022): Ingeborg Küster, in: Digitales Deutsches Frauenarchiv
URL: https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de./akteurinnen/ingeborg-kuester
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Lizenz: CC BY-SA 4.0
Rechteangabe
  • Cornelia Wenzel
  • Digitales Deutsches Frauenarchiv
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Zitate von Ingeborg Küster

Biografie von Ingeborg Küster

Geburt in Wuppertal

1929

Beginn der Zusammenarbeit mit Fritz Küster in der Deutschen Friedensgesellschaft

1929

Gasthörerin an der Deutschen Hochschule für Politik in Berlin

1938

Eheschließung mit Fritz Küster

1939

Geburt der Tochter Lore

1944

Geburt des Sohnes John-Christoph

1951

Mitgründerin der Westdeutschen Frauenfriedensbewegung

1951

Teilnahme am „Kongress der Frauen und Mütter für den Frieden“ in Velbert

1951

Mitgründerin der Westdeutschen Frauenfriedensbewegung

1952 - 1974

Redakteurin der Zeitschrift Frau und Frieden

1965

Erfolglose Kandidatur als Bundestagsabgeordnete für die Deutsche Friedens-Union

1974

Carl-von-Ossietzky-Medaille des Friedensrates der DDR

1976 - 1989

Mitgründerin und Mitarbeiterin der Demokratischen Fraueninitiative

1989

Joliot-Curie-Medaille in Gold

Tod in Göttingen

Fußnoten

  • 1Dieser Essay ist eine überarbeitete Fassung des Dossiers über Ingeborg Küster auf den Seiten des Archivs der deutschen Frauenbewegung. Zugriff am 25.3.2022 unter: https://www.addf-kassel.de/dossiers-und-links/dossiers/dossiers-personen/ingeborg-kuester/.
  • 2Über die Mutter ist leider nichts bekannt.
  • 3Vgl. Auszug aus dem Manuskript der Sendung des Südwestfunks: Ein Frauenleben für den Frieden. Ein Porträt der Pazifistin Ingeborg Küster von Ulrike Müller am 30.04.2002, Archiv der deutschen Frauenbewegung (AddF), NL-P-27; 4-2, S. 4.
  • 4Seite „Deutsche Hochschule für Politik“. In: Wikipedia – Die freie Enzyklopädie, Zugriff am 25.3.2022 unter https://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_Hochschule_f%C3%BCr_Politik.
  • 5Vgl. Zeile, Elisabeth: Frauen für den Frieden. Vorbilder in Vergangenheit und Gegenwart im Kampf gegen Militarismus und Krieg, Essen 1981.
  • 6Küster, Ingeborg: Es ist genug. Überlebens-Erinnerungen einer Pazifistin, Hamburg 1986, S. 93 f.
  • 7Gespräch mit Lore Lehmann von Laura Schibbe am 15.10.2020 zum Dossier auf den Seiten des AddF.
  • 8Küster: Es ist genug, S. 95.
  • 9Pollmann, Dorlies / Laudowicz, Edith (Hg.): Weil ich das Leben liebe, Köln 1981, S. 27.
  • 10Ebenda, S. 29.
  • 11Küster, Ingeborg: Damals in Velbert, in: Frau und Frieden 5/1952, S. 3.
  • 12AddF, Nachlass Ingeborg Küster, NL-P-27; 6.
  • 13Küster, Ingeborg: Flugblatt Windstärke 11 in Cuxhaven, AddF, NL-P-27 ; 2-1.
  • 14Der Aktenbestand der DFI aus den Jahren 1975 bis 1990 liegt im AddF, ist jedoch noch nicht bearbeitet.
  • 15Vgl. dazu: Stamm, Christoph: Bestand B 422 Die Deutsche Friedens-Union (DFU) 1960–1990. „Friedenspartei“ oder „Die Freunde Ulbrichts“? In: Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, 20. Jg. (2012), Heft 1, S. 44-55. Zugriff am 25.3.2022 unter https://www.bundesarchiv.de/DE/Content/Publikationen/Mitteilungen/mitteilungen-2012-1.pdf?__blob=publicationFile
  • 16Vgl. Appelius, Stefan: Pazifismus in Westdeutschland. Die Deutsche Friedensgesellschaft 1945-1968, Bd. II, Aachen 1999, S. 723.
  • 17Küster, Ingeborg: Was draußen geschah. Erlebtes zwischen 1933 und 1938, Hannover 1948, Küster, Ingeborg: Politik – haben Sie das denn nötig? Autobiografie einer Pazifistin, Hamburg 1983 und Küster, Ingeborg: Es ist genug! Überlebens-Erinnerungen einer Pazifistin, Hamburg 1986.

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