Emma Ihrer Geboren am in Glatz Gestorben am in Berlin

Über Emma Ihrer

Emma Ihrer organisierte seit den 1880er Jahren Arbeiterinnen im Umfeld der SPD, später wollte sie Gewerkschaften frauenspezifischer gestalten. Sie war Autodidaktin und zog als Wegbereiterin andere Frauen in einmal eroberte Positionen nach. Und sie lebte ein erstaunlich modernes Beziehungsmodell.

Emma Ihrers politischer Weg ist aus Parteiakten und Publikationen rekonstruierbar. Über ihre persönlichen Verhältnisse ist heute nur noch wenig bekannt, weil sie zu den vielen einflussreichen und wirkmächtigen Frauen gehörte, deren Nachlass nicht überliefert wurde.

Sie stammte aus Niederschlesien, war die Tochter des Schuhmachers Wendelin Faber, genannt Rother1 , und heiratete um 1880 den Apotheker Emmanuel Ihrer, mit dem sie in Velten (Brandenburg) und später in Berlin lebte. Er unterstützte ihr politisches Engagement nicht nur ideell, sondern auch finanziell in einem Maße, das ihn fast in den wirtschaftlichen Ruin getrieben hätte. Auch in anderer Hinsicht scheint er ein großzügiger Mann gewesen zu sein. Als Emma Ihrer sich für eine inoffizielle und weitgehend totgeschwiegene Beziehung mit dem Gewerkschafter Carl Legien (1861–1920) entschied, lebten alle drei offenbar über viele Jahre harmonisch zusammen.2

Die Organisation der Arbeiterinnen

In den 1880er Jahren einen Verein für Arbeiterinnen zu gründen, war kein leichtes Unterfangen. Zum einen untersagte das Vereinsrecht in Preußen, wie in den meisten anderen deutschen Ländern, Frauen neben Schülern und Lehrlingen politische Betätigung und die Mitgliedschaft in politischen Vereinen. Zum anderen galt von 1878 bis 1890 das „Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“.3 So war Arbeiterinnenvereinen meist nur ein kurzes Leben beschieden, bevor sie verboten wurden. 1881 gründete Emma Ihrer gemeinsam mit Marianne Menzzer und Johanna Wacker den Frauen-Hilfsverein für Handarbeiterinnen. Dieser erste Versuch scheiterte wohl weniger an den Behörden als an der Unerfahrenheit der Frauen, die zu viele Aufgaben und zu weitreichende Ziele mit wenig Mitteln und ungeeigneter Organisation erreichen wollten. „Es fehlte den Führenden noch an der nötigen Einsicht, sowie auch an Gemeinsinn und dem nötigen Selbständigkeitsgefühl“4 , schrieb Ihrer selbst später darüber. Doch sie lernten dazu. 1885 wurde der Verein zur Vertretung der Interessen der Arbeiterinnen ins Leben gerufen. Emma Ihrer war die treibende Kraft, hatte aber die gestandenen Genossinnen Gertrud Guillaume-Schack (1845–1903) und Marie Hofmann als Unterstützerinnen gewonnen. Aufgaben des Vereins waren: „Hebung der geistigen und materiellen Interessen der Mitglieder, insbesondere Regelung der Lohnverhältnisse, gegenseitige Unterstützung bei Lohnstreitigkeiten, Aufklärung durch fachgewerbliche und wissenschaftliche Vorträge, Beschaffung einer Bibliothek, Pflege der Kollegialität durch gesellige Zusammenkünfte und die Errichtung eines Arbeitsnachweises“.5 Es ging um Bildung und Gemeinschaft, aber auch um handfeste Fragen der dringend nötigen Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Etwas mehr als ein Jahr konnte der Verein aktiv bleiben und erste Erfolge verzeichnen. So wurde etwa die Situation der Näherinnen in Heimarbeit öffentlich gemacht. Sie mussten das Garn für ihre Arbeit selbst beschaffen, durch anstehende Zollerhöhungen drohte ihnen die Verringerung ihres ohnehin schon geringen Einkommens. Das konnte durch öffentliche Proteste verhindert werden. Dieser Erfolg führte zu Gründungen ähnlicher Vereine in anderen Städten. Doch im Mai 1886 war Schluss, der Verein zur Vertretung der Interessen der Arbeiterinnen wurde verboten. Die SPD beschloss schließlich 1892, anstelle der immer wieder verbotenen Vereine zur Unterstützung der Organisation der Arbeiterinnen das System der Vertrauenspersonen6 einzuführen, also ein gut organisiertes Netz, das ohne formale Strukturen funktionierte und daher dem staatlichen Zugriff weit besser entgehen konnte. Emma Ihrer mischte auch hier mit, zudem trat sie immer häufiger als Rednerin7 auf. Obwohl in jeder Hinsicht Autodidaktin, wurden ihre Talente in der politischen Arbeit schnell offensichtlich und von der Partei – in der sie, wie alle Frauen, formal immer noch nicht Mitglied sein durfte – anerkannt.

Parteiarbeit und Publikationen

 

Ihrer, Emma: Mutter Staegemann, in: Die Gleichheit, 20. Jg., 1909/10, Nr. 1, S. 2-3

Emma Ihrer war neben Clara Zetkin eine der wenigen deutschen Frauen, die 1889 am Internationalen Arbeiterkongress in Paris teilnahmen. Dieser Kongress markierte einen neuen Abschnitt im Verhältnis zwischen Arbeiterinnenbewegung und Partei. „Seit der Veranstaltung in Paris gab es kaum mehr einen Gewerkschaftskongress oder einen politischen Parteitag, auf dem Frauen nicht zumindest anwesend waren. Dies spricht dafür, dass die proletarische Frauenbewegung in ihrer Bedeutung für die SPD zunehmend Beachtung fand und beiden an einer engeren Verknüpfung gelegen war.“8 Praktischen Ausdruck fand das unter anderem in der Gründung einer Zeitschrift. Ende 1890 erschien die Probenummer der Arbeiterin, im Selbstverlag herausgegeben von Emma Ihrer, finanziert von ihrem Ehemann. Nach etwas mehr als einem Jahr mussten sie aufgeben. Das Unternehmen trug sich nicht, Emmanuel Ihrer stand kurz vor der Pleite. Kurze Zeit später gab es eine Fortsetzung unter anderem Namen, mit anderer Besetzung und auf anderer organisatorischer und finanzieller Grundlage: Die Gleichheit erschien ab 1892 unter der Regie von Clara Zetkin, das finanzielle Risiko trugen der Verlag J.H.W. Dietz und zunehmend auch die Partei.

Emma Ihrer fungierte noch bis 1896 als Herausgeberin, wandte sich aber daneben anderen Publikationen zu. 1893 veröffentlichte sie mit der Broschüre Die Organisationen der Arbeiterinnen. Ihre Entstehung und Entwickelung eine erste detaillierte Übersicht. 1898 folgte mit Die Arbeiterinnen im Klassenkampf. Anfänge der Arbeiterinnenbewegung, ihr Gegensatz zur bürgerlichen Frauenbewegung und ihre nächsten Aufgaben eine gründliche Analyse und Standortbestimmung. Daneben hatte sie sich im Laufe der 1890er Jahre mehr und mehr von der Parteiarbeit ab- und der Gewerkschaftsarbeit zugewandt.

Von der Partei zur Gewerkschaft

Das war natürlich kein grundsätzlich anderes Feld. Emma Ihrer hatte immer Arbeitsbedingungen und Lohngerechtigkeit thematisiert und Missstände angeprangert, unter denen Fabrik- und Heimarbeiterinnen zu leiden hatten. Sie hätte gerne eigenständige Gewerkschaften für Arbeiterinnen und eine zentrale Frauengewerkschaft geschaffen, doch als 1890 die freien Gewerkschaften eine Generalkommission einrichteten, um gemeinsam schlagkräftiger agieren zu können, wurde dort die separate Organisation der Arbeiterinnen abgelehnt. Die Frauen suchten nach anderen Wegen. „Statt Frauengewerkschaften gründeten die Frauen Beschwerdekommissionen, die in Sprechstunden die Arbeiterinnen über ihre Rechte aufklärten und Mißstände […] an die Gewerbekommissionen weiterleiteten.“9 Immerhin gehörte Emma Ihrer als einzige Frau für zwei Jahre der siebenköpfigen Generalkommission an, ihre Nachfolgerin wurde Wilhelmine Kähler (1864–1941). Carl Legien, der langjährige Vorsitzende der Generalkommission, dem Emma Ihrer persönlich eng verbunden war, gehörte zu den entschiedensten Förderern der gewerkschaftlichen Frauenarbeit.10 Gemeinsam konnten sie 1905 durchsetzen, dass erstmals die Stelle einer Frauensekretärin eingerichtet wurde; sie wurde von Ida Altmann (1862–1935) besetzt.

Wegbereiterin

Emma Ihrer war offenbar eine ebenso engagierte wie gänzlich uneitle Frau. „Typisch für sie war […], etwas aufzubauen, dann nach anderen Frauen zu suchen, die es weitertragen, und selbst etwas Neues anzufangen“11 , so beschreibt es Claudia von Gélieu, die die bislang umfassendsten Recherchen zu Emma Ihrer betrieben hat. Im Nachruf der Gleichheit heißt es: „Unter den hervorragend tätigen Genossinnen in der Partei, vor allem aber in den Gewerkschaften, sind nicht wenige, die wir als ihre Schülerinnen betrachten dürfen, und unter den Führenden unserer Frauenbewegung ist keine einzige, die ihr nicht über das Grab hinaus für Anregung und freundlichen Rat verpflichtet wäre.“12 Und die Sozialistischen Monatshefte schrieben: „Sie kannte nicht den Ehrgeiz, der an erster Stelle stehen will.“13

Hanna, Gertrud / Pfülf, Antonie / I. H.: Unsere Vorkämpferinnen, in: Die Gleichheit, 31. Jg. 1921, Nr. 7 (1.4.1921), S. 60-63


Möglicherweise hat das dazu beigetragen, dass Emma Ihrer aus heutiger Sicht oft ganz zu Unrecht im Schatten Clara Zetkins steht. Immerhin: Sie bekam ein Ehrengrab in der Gedenkstätte der Sozialisten in Berlin-Friedrichsfelde und eine Gedenktafel an ihrem letzten Berliner Wohnort. Dort lebten – nebenbei bemerkt – nach ihrem Tod ihr Ehemann Emmanuel Ihrer und ihr Lebensgefährte Carl Legien weiter zusammen. Emma Ihrers Geburtshaus in Velten gehört zu den ‚FrauenOrten im Land Brandenburg‘. In der Serie ‚Frauen der deutschen Geschichte' schmückte ihr Portrait 1989 die 5-Pfennig-Briefmarke.

Stand: 03. März 2022
Lizenz (Text)
Verfasst von
Cornelia Wenzel

Wissenschaftliche Dokumentarin, Freie Mitarbeiterin im AddF – Archiv der deutschen Frauenbewegung; Arbeitsschwerpunkte: Geschichte der Frauenbewegung, Überlieferung sozialer und politischer Bewegungen in Freien Archiven.

Empfohlene Zitierweise
Cornelia Wenzel (2022): Emma Ihrer, in: Digitales Deutsches Frauenarchiv
URL: https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de./akteurinnen/emma-ihrer
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Rechteangabe
  • Cornelia Wenzel
  • Digitales Deutsches Frauenarchiv
  • CC BY-SA 4.0

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Zitate von Emma Ihrer

Biografie von Emma Ihrer

Geburt in Glatz

1881

Mitgründerin des Frauen-Hilfsvereins für Handarbeiterinnen

1885

Mitgründerin des Vereins zur Vertretung der Interessen der Arbeiterinnen

1886

Verein zur Vertretung der Interessen der Arbeiterinnen von den Behörden aufgelöst „wegen Beschäftigung mit Politik“

1889

Teilnahme am Internationalen Arbeiterkongreß in Paris

1890 - 1892

Einziges weibliches Mitglied in der siebenköpfigen Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands

1890 - 1891

Gründerin und Herausgeberin der Zeitschrift ‚Die Arbeiterin‘

1892

Umbenennung der Zeitschrift ‚Die Arbeiterin‘ in ‚Die Gleichheit‘

1892 - 1896

Herausgeberin der Zeitschrift ‚Die Gleichheit‘

Tod in Berlin

Fußnoten

  • 1Über die Mutter ist leider nichts überliefert.
  • 2Vgl. dazu Gélieu, Claudia von: Sie kannte nicht den Ehrgeiz, der an erster Stelle stehen will. Emma Ihrer (1857–1911) zum 150. Geburtstag, in: JahrBuch für Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung, 2007, H. 3, S. 92‒104, Berlin.
  • 3Genaueres dazu: Seite „Sozialistengesetz“. In: Wikipedia – Die freie Enzyklopädie, Zugriff am 15.07.2021 unter https://de.wikipedia.org/wiki/Sozialistengesetz.
  • 4Ihrer, Emma: Die Arbeiterinnen im Klassenkampf, Berlin 1898, S. 10.
  • 5Ebenda, S. 12.
  • 6Vgl. dazu Sachse, Mirjam: Von „weiblichen Vollmenschen“ und Klassenkämpferinnen – Frauengeschichte und Frauenleitbilder in der proletarischen Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“ (1891-1923), Kassel 2010, S. 146, Fußnote 314.
  • 7Vgl. dazu eine von Kurt Ständer rekonstruierte Vortragsliste des Jahres 1882 in: Gélieu: Sie kannte nicht den Ehrgeiz, der an erster Stelle stehen will, S. 101 f.
  • 8Ebenda, S. 78.
  • 9Ebenda, S. 103.
  • 10Vgl. Fuhrmann, Uwe: Feminismus in der frühen Gewerkschaftsbewegung (1890–1914). Die Strategien der Buchdruckerei-HilfsarbeiterInnen um Paula Thiede, Bielefeld 2021, S. 160‒166.
  • 11Gélieu: Sie kannte nicht den Ehrgeiz, der an erster Stelle stehen will, S. 101.
  • 12Emma Ihrer †, in: Die Gleichheit, 21. Jg., Nr. 8, S. 1.
  • 13Zepler, Wally, in: Sozialistische Monatshefte 1911, Nr. 2, S. 116.

Ausgewählte Publikationen